Donkey King: Wild Wild East

Chat mit „Esel- und Autoren-Asyl“-Initiator Rumen Milkow (5)

You talkin‘ to me? Yep. Just a word with you: The goody ol‘ walking boots and the smile of a jolly donkey, what else do ya need?
(Artwork: Munich Globe Bloggers)

Es ist schwer geworden, in Bulgarien einen Esel zu finden. Fast so schwer wie in Deutschland.

Rumen Milkow: Autor, Fotograf, Esel-Promoter

(Hier geht’s zu Folge 1: Donkey King: Berlin – Spanchevtsi, one-way)

Im fünften und letzten Teil unserer Chats mit Rumen Milkow, Initiator des Donkey Sanctuary & Writers Retreat, schauen wir nach Bulgarien. Die Donau verbindet das Land mit Rumänien, die Rhodopen verbinden es mit Griechenland und die Esel vermutlich mit allen Nachbarn. Allerdings ist die Population dieser fabelhaften Tiere in Bulgariens stark gesunken, fast wie ein Symbol für die schwindende Einigkeit unter den Ländern Europas, was kein Wunder ist, so lange die Beschleunigung und Allgegenwärtigkeit des Kapitalismus die einzige Klammer ist. Aufgeben betrachten wir nach wie vor nicht als würdige Haltung, deshalb winken wir dem Menschen und Tiere erniedrigenden Kapitalismus und seinen Lakaien weiterhin mit dem Mittelfinger. Yep, that’s our fucking job …

Bei unserem Chatman1 Rumen Milkow bedanken wir uns sonnenblumigst für seine Mühen, Fotos, Einblicke und seine Eselsgeduld!

(Die Erläuterungen zu den hochgestellten Zahlen stehen am Ende des Textes unter Hufnoten.)

Tomatopoly

Munich Globe Bloggers (MGB): Nach dem Mauerfall hatte Bulgarien im Westen das Image hinter westlicheren Ex-Ostblock-Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn hinterherzuhinken, quasi dass es dem Land bei der Anbetung des post-sozialistischen Gottes Money-Money an der nötigen Inbrunst mangele …

Rumen Milkow (RM): Insbesondere wir Deutschen neigen dazu, alles durch unserer Brille zu sehen. Als Ostdeutscher habe ich lange den Fehler gemacht, die früheren Bruderländer mit der DDR zu vergleichen. Dabei war die DDR ein Sonderfall. Auch Bulgarien hätte sich gerne mit der BRD vereinigt wie die DDR, wobei es genau genommen keine Vereinigung, sondern ein Beitritt war. Aber das ist ein anderes Thema.

MGB: Erscheint dir Bulgarien tatsächlich noch so furchtbar ossig, prä-kapitalistisch?

RM: Die Verwestlichung, bei der es zwangsläufig Unterschiede gibt zwischen den ehemaligen Ländern des Ostblocks, hat in den letzten Jahren in Bulgarien an Fahrt aufgenommen. Positiv ist, dass die Zeiten des Wildwest in Bulgarien vorbei sind, was nicht heißt, dass sie nicht zurückkehren können. In Berlin haben wir genau dies am Beispiel von Uber erlebt, weshalb ich von einer Balkanisierung Berlins spreche. Die deutsche Hauptstadt ist praktisch bereits jetzt eine Failed City.

MGB: Gotham und Camorra? Kannst du das kurz belichten?

RM: Mit Uber kenne ich mich besonders gut aus, nicht nur weil ich deswegen meine Arbeit und damit mein ganzes bisheriges Leben verloren habe. Dazu habe ich auch einen ausführlichen Artikel2 geschrieben, an dem ich lange recherchiert habe. Der Gesetzgeber hat im Fall von Uber rechtsfreie Räume geschaffen, die in Berlin mangels Personal bis heute nicht ausreichend überprüft werden – im Gegensatz zu Hamburg, wo die Situation eine ganz andere ist. Auch Otto Normalbürger bekommt das zu spüren: Einen Termin bei einer Berliner Behörde zu bekommen gleicht einem Glücksspiel. Oft muss man Wochen, wenn nicht gar Monate warten. Die Behörden wurden kaputt gespart, die einfachsten Sachen funktionieren nicht mehr. In Bulgarien funktionieren die Dinge oft besser als in der deutschen Hauptstadt. Auch das Auftreten der Polizei ist hier ein ganz anderes. Ich war auf zahlreichen Protesten in der bulgarischen Hauptstadt, um darüber zu berichten. Lange habe ich mich nicht so sicher gefühlt auf einer Demonstration wie in Sofia, und das zu jeder Zeit.

Once upon a Time in the East: Statt flauschiger Eco-Mäh-und-Düngbots der Energieeffizienzklasse A+++ machen jetzt gewaltige Maschinen den Job und zerstören dabei die Wasserleitungen, während die Schafe dauerhaft im Stall bleiben. Willkommen im Kapitalismus!
(Foto: Rumen Milkow)

MGB: Worin zeigt sich die fortgeschrittene Verwestlichung Bulgariens?

RM: Insbesondere in den großen Städten wie Sofia ist es schwierig geworden, jemand Neuen kennenzulernen oder auch nur einen alten Bekannten zu treffen – und das aus Zeitgründen. Das war früher ganz anders. Zeit war das geringste Problem der Menschen. Zeit hatte man, man musste sie sich nicht nehmen. Mittlerweile ist es in den Großstädten praktisch genauso wie in Deutschland. Ein Grund dafür, dass ich auf dem Dorf lebe.

MGB: Beim Kapitalismus geht es vor allem um Quantität: möglichst viel und immer mehr davon …

RM: Zum besseren Verständnis will ich noch ein Beispiel für den westlichen, meiner Meinung nach verkehrten Blick geben. Etwas, das ich selbst erlebt habe, am Osteuropa-Institut der FU, an dem ich einst studiert habe. Ich erinnere mich an eine Lehrveranstaltung im Bereich Wirtschaft, in der man vorgab „wertfrei“ an das Thema heranzugehen. Im nächsten Satz stellte man einen „Entwicklungsrückstand“ Bulgariens gegenüber dem Westen fest, in dem bestimmten Fall bezogen auf die Erträge pro Hektar bei Tomaten. Nur: „Wertfrei“ und „Entwicklungsrückstand“, das passt nicht zusammen. Mein Punkt ist aber ein anderer: der Geschmack. Was nützt mir eine Tomate aus Holland oder Polen, wie es sie neuerdings auch in Bulgarien zu kaufen gibt und die zwar auf einer Plantage mit hohen Hektarerträgen gewachsen ist, aber keinen Geschmack hat? Darauf verzichtete ich gerne. Wir verlieren oft das Wichtigste völlig aus den Augen. Hohe Hektarerträge mögen gut sein fürs Geschäft, aber nicht für den Geschmack. Nur: Der ist nun mal das Entscheidende – nicht nur bei Tomaten.3

„Yeah, I did it!“ Eselin Raina Velitshka am Ziel der langen Wanderung quer durch Bulgarien. Esel sind keine Wasserratten, sagen Kenner, aber vielleicht können sie wenigstens den Blick darauf genießen, solange die Beine auf festem, trocknem Boden stehen
(Foto: Rumen Milkow)

Donkey Leaks

MGB: Schon sind wir bei der legendären bulgarischen Gastfreundschaft: Einerseits rührend, wie selbstverständlich ein Fremder auf dem Dorf eingeladen wird, andererseits anstrengend, wenn du das nicht gewöhnt bist. Als Berliner kannst du das vielleicht nachvollziehen.

RM: Anstrengend wird es meiner Meinung nach deswegen, weil man auch hier dazu neigt, das Wichtigste auszublenden. Ich selbst habe ein halbes Leben dazu gebraucht, es für mich klar zu kriegen, und zwar folgenden Umstand: Die Annahme einer Einladung bedeutet, dass ich dasselbe für den anderen, also denjenigen, der mich einlädt, zu tun bereit bin. Das bedenken viele nicht, was dann zu unschönen Situationen führt, wenn der ehemalige Gastgeber plötzlich vor deiner Tür in Berlin oder auch München steht. Es ist aber so. Und Gastfreundschaft kann auch nur so funktionieren – auch wenn viele denken, Gastfreundschaft sei eine Einbahnstraße. Das ist sie aber nicht.

MGB: Das Problem bei unserem Chef war eher, dass er vor lauter Spontan-Einladungen mit seinen Reisebuch-Recherchen nur schleppend vorankam. Andererseits ergaben sich dadurch allerhand unerwartete Erlebnisse, die dem Reisen die Würze geben, z. B. seinen Eselführerschein.4 Sind Esel in Bulgarien vielleicht ähnlich wichtig wie die Autos im Krautland?

RM: Esel waren wichtig – insbesondere auf dem Land – sind es aber heute leider nicht mehr. Gab es Mitte der Achtziger noch 340.000 Esel in Bulgarien, sind es heute gerade mal 20.000. Es ist schwer geworden, in Bulgarien einen Esel zu finden. Fast so schwer wie in Deutschland. Und das ist traurig.

MGB: Woher kommt der Esel-Schwund?

RM: Die alten Leute auf den Dörfern sterben weg, die jungen Leute ziehen weg. Manche Dörfer in Bulgarien sind bereits völlig verlassen. Von Menschen wie von Eseln. Viele Esel wurden zwecks Schlachtung ins Ausland verkauft, beispielsweise nach Italien. Die Ausfuhr erfolgte oft über die Grenze zu Griechenland im Südwesten Bulgariens. Deshalb gibt es dort seit 2016 das Tal der Esel, ein Esel-Asyl, finanziert von der Schweizer Stiftung Tierärzte im Einsatz. Vor einiger Zeit habe ich dort ein Praktikum gemacht, in dem ich unter anderem gelernt habe, Eseln die Hufe zu beschneiden. Auch für abergläubische Chinesen werden Esel getötet, wegen eines Stoffes unter der Haut, der angeblich die Potenz steigert. Vor allem die Esel-Population in Afrika leidet darunter. Dort werden die Tiere im großen Stil abgeschlachtet, die Haut abgezogen und die Kadaver liegen gelassen.5 So weit ist es in Bulgarien noch nicht und kommt es hoffentlich nie.

Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein: Rumen Milkow (Mitte) lauscht dem neuesten Klatsch von Benjamin und Platero
(Foto: Rumen Milkow)

Hufnoten

  1. Wir empfehlen auch das schöne Audio-Interview mit Rumen Milkow auf Veggie-Radio: Der Eselflüsterer vom 29.9.23. ↩︎
  2. Rumen Milkow: „Wir haben den Leuten eine Lüge verkauft“, erschienen bei Multipolar, 22.9.2022 ↩︎
  3. Bulgarische Tomaten: Unser Chef genoss das Privileg, einige Exemplare aus privatem Garten zu kosten, und bestätigt: Gourmetiger geht’s kaum. Und was für Oschis! Einige so groß wie Mangos. Ebenfalls in Bulgarien badete unser Chef seine Augen in den größten Sonnenblumenfelder, die er je gesehen hatte. Das blieb im Gedächtnis und fand einen Schleichweg ins Titelbild. ↩︎
  4. Eselführerschein: Das Zertifikat berechtigt unseren Chef dazu, „einen Esel aus Stoilowo zu lenken“. Immerhin! Stoilowo ist ein Dorf im Naturpark Strandscha im Südosten Bulgariens, nahe der Grenze zur Türkei. ↩︎
  5. Vgl. den Beitrag Ejiao: Esel in Kenia für chinesische „Medizin“ getötet erschienen auf der Website der Tierschutzorganisation PETA am 27.5.2021. ↩︎

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