Donkey King: Berlin – Spanchevtsi, one-way

Chat mit „Esel- und Autoren-Asyl“-Initiator Rumen Milkow (1)

You talkin‘ to me? Yep. Just a word with you: The goody ol‘ walking boots and the smile of a jolly donkey, what else do ya need?
(Artwork: Munich Globe Bloggers)

Ich will verstehen, warum einer so tickt, wie er tickt.

Rumen Milkow: Autor, Fotograf, Exil-Berliner

Ein Mann, eine Vision. 2021 kündigte Autor und Ex-Taxler Rumen Milkow seiner Heimatstadt Berlin und machte nach Spanchevtsi, ein Dorf im Nordwesten Bulgariens, dem Land, aus dem sein Vater stammt. Schon vor seinem Umzug wanderte Rumen 750 Kilometer weit durch Bulgarien, begleitet von der Eselin Raina Velitshka. Die neue Heimat Bulgarien befunkelte Rumen mit der Idee, Esel und Autoren zusammenzubringen: Dazu soll ein ehemaliger Stall in Spanchevtsi repariert und ausgebaut werden, um Esel und Autoren ganzjährig Unterschlupf zu bieten. Sehr schön: Rumens Projekt Donkey Sanctuary & Writers Retreat verfolgt keinerlei Profit-Interesse.

Die Munich Globe Bloggers finden das urcool und haben den Autor für ein längeres Gespräch auf unserem mohnblumenroten Sofa geparkt. Im ersten Teil wollen wir Rumen vorstellen. (Die Erläuterungen zu den hochgestellten Zahlen stehen am Ende des Textes unter Hufnoten.)

A Touch of Thoreau

Munich Globe Bloggers (MGB): Von Berlin nach Spanchevtsi. Krasser Move. Wie kams?

Rumen Milkow (RM): Im März 2020 habe ich meine Arbeit als Taxifahrer in Berlin verloren. Anlass dafür war Corona, die Ursache war Uber. Die Berliner Zeitung hat dazu einen Beitrag von mir gebracht.1 Von Anfang an hatte ich das Gefühl, da kommt etwas Ungutes auf mich zu, ohne es genau benennen zu können. Meinem Instinkt folgend bin ich nach Bulgarien gegangen, um meine nur sommertaugliche Hütte im Balkangebirge so weit auszubauen, dass ich ganzjährig dort wohnen kann. Das hat ein halbes Jahr gedauert. Eine Spitzenzeit, insbesondere für die ärmste Region des Landes, die inzwischen viele verlassen haben.

MGB: Klingt bisschen nach Thoreau: ab in den Wald. Gute Entscheidung?

RM: Ja, unbedingt! Allem voran gibts dort normale Menschen, die zwar oft einfach sind, aber nicht dumm. Ich habe neue Freundschaften geschlossen. Mein Leben ist einfacher geworden, mein Blick klarer. Die Stille im Gebirge, der Aufenthalt in der Natur, der Kontakt zu Tieren, das Mineralwasser, das man sich bei mir im Dorf abfüllen kann und in dem ich auch regelmäßig bade – all das tut mir gut. Neben der Gastfreundschaft, die im ländlichen Bulgarien immer noch sprichwörtlich ist, habe ich auch viel praktische Hilfe erfahren. Insbesondere vom Bürgermeister meines Dorfes, den ich seit über 20 Jahren kenne (damals noch kein Bürgermeister), und der sich über jeden neuen Bewohner freut.

MGB: Dein Umzug war inmitten der Corona-Paranoia. War das Leben in Bulgarien einfacher, der Umgang zwischen den Menschen entspannter, weniger hysterisch?

RM: Auf jeden Fall. Bulgaren sind eher dramatisch, aber nicht hysterisch. In Bulgarien habe ich zum Beispiel nie einen Test machen lassen müssen. Überhaupt habe ich bisher nur einen Corona-Test gemacht: um nach Bulgarien zu kommen. Alles, was ich zum Leben brauchte, habe ich versucht, auf dem Markt zu bekommen. Der ist unter freien Himmel. Eine Maske hat dort kaum jemand getragen. Als ich einmal etwas aus einem Technik-Markt brauchte, habe ich am Eingang jemanden darauf angesprochen. Eine Mitarbeiterin hat das gesehen und mich dann aufgefordert, doch bitte selbst in den Markt zu kommen. So konnte ich in den Laden, ohne geimpft oder getestet zu sein. In Deutschland hätte man die Frau vermutlich entlassen.

MGB: Eh klar. XXL-Blockwart-Country! Was hast du in deiner Taxi-Zeit über Menschen gelernt? Und hat dir etwas davon beim Umgang mit Eseln geholfen?

RM: 25 Jahre war ich als Taxifahrer und Stadtführer auf den Berliner Straßen und Plätzen unterwegs. Von Kollegen und Fahrgästen habe ich viel gelernt. Dafür bin ich dankbar. Die Straße ist meine Universität – keine Übertreibung. Das größte Geschenk für mich ist bis heute, dass ich lernen durfte, zuzuhören und nicht alles gleich zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Klingt einfach, ist aber schwierig. Ich habe Jahre dazu gebraucht. Ich will verstehen, warum einer so tickt, wie er tickt. Und nur weil ich jemandem zuhöre, heißt das nicht, dass ich seine Meinung teile. Bei mir im Taxi durfte jeder alles sagen. Heute vermutlich schwierig wegen der Kontaktschuld. Andererseits: Wer bin ich, dass ich mir anmaße zu wissen, was die richtige Haltung ist? So gesehen bin ich haltungslos, orientiere mich an Voltaire, der gesagt hat: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen“, auch wenn das mit der freien Meinungsäußerung hier kein Problem ist.

Sechs Hufe für ein Jippie-Jippie-Jej: Raina Velitshka (links) und Rumen Milkow (rechts) unterwegs zum Schwarzen Meer.
(Foto: Rumen Milkow)

Kleines Dorf, große Freiheit

MGB: Du lebst seit Mitte 2021 in Bulgarien, davor warst du 30 Jahre in Berlin. Vermisst du etwas? Und wie oft bist du noch in Berlin?

RM: Seit meinem Umzug war ich nur einmal in Berlin. Für vier Wochen. Vor Corona, als ich immer nur für zwei oder drei Monate im Jahr zu Besuch in Bulgarien war, habe ich in dieser Zeit nie an Berlin gedacht. Jetzt vermisse ich mitunter den Austausch in der Muttersprache. Manchmal auch das deutsche Mischbrot und die hausgemachte Leberwurst.

MGB: Du vermisst wenig aus der alten Heimat, was motiviert dich zu Krautlandvisiten?

RM: U. a. war ich im April in der Oberpfalz zu einer Weiterbildung bei Michael Meyens Freier Medienakademie.2 Sehr erfrischend: die Lehrinhalte, die Person Michael Meyen und nicht zuletzt die anderen Mitstreiter. Auch wenn es nur wenige Tage waren, habe ich sehr viel mitgenommen. Die Kurse dort – online wie in Präsenz – empfehle ich jedem, der unzufrieden ist mit den Standard-Medien.

MGB: Haben dich schon Leute aus deiner Berliner Zeit in Spanchevtsi besucht?

RM: Die Reihen der Freunde aus meiner Berliner Zeit haben sich sehr gelichtet. Anfangs eine ziemliche Enttäuschung, heute bin ich darüber hinweg. Eine Enttäuschung ist ja immer das Ende einer Täuschung. Die Kontakte, die ich noch habe, sind dafür intensiver geworden, was wiederum toll ist. Es hat sich quasi die Spreu vom Weizen getrennt. Und es stimmt wirklich: Den wahren Freund erkennt man in der Not. Zwei von ihnen haben mich schon mehrfach in Bulgarien besucht, auch um mir zu helfen. Andere haben ihren Besuch angekündigt. Vielleicht noch in diesem Jahr, bevor es möglicherweise wieder losgeht mit neuen Lockdowns. Besucht hat mich zudem ein neuer Freund aus Bremen, sogar zweimal. Mein Multipolar-Artikel Bulgarien – die große Freiheit hat ihn angesprochen. Und auch viele andere Leute, was mich sehr freut. Mein neuer Freund aus Bremen ist wie ein älterer Bruder für mich. Das ist großartig, ich kann praktisch alles mit ihm besprechen. Er ist ein wichtiger Ratgeber für mich geworden.

MGB: Wer sind deine neuen Freunde?

RM: Allen voran ein Engländer, der seit 12 Jahren in Bulgarien lebt, ein Musiker und Ausdauersportler. Mit ihm treffe ich mich regelmäßig auf einen walk and talk. Und da ist noch ein junger Bulgare, der die aktuellen Bücher von Autoren wie Norbert Häring, David Engels und Hans-Joachim Maaz ins Bulgarische übersetzt hat. Ihn habe ich vor zwei Jahren zufällig auf der Straße in Sofia kennengelernt. Seither sind wir befreundet. Hans-Joachim Maaz, der zufällig in meinem Taxi saß, habe ich auch schon mehrfach interviewt.3 Sie alle sind wichtige Inspirationsquellen.

Das bulgarische Shedwall-Graffiti-Team Donksey und Donksey Jr. bei einem ihrer seltenen Interviews mit hufverlesenen Journalisten.
(Foto: Rumen Milkow)

(Weiter zu Folge 2: Donkey King: The next big thing)

Hufnoten

  1. Rumen Milkow: Taxifahren war mein Leben – bis Uber nach Berlin kam und die Branche zerstörte; Berliner Zeitung, 24.8.2022 ↩︎
  2. Freie Akademie für Medien und Journalismus ↩︎
  3. Zuletzt beim Onlinemagazin Multipolar: Es ist ein Kulturkampf, 14.7.2023 ↩︎

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