Krankes Haus

Chat mit Doku-Regisseur Jonas Alter

It needs Superpowerwomen to safe our seriously fucked-up Gesundheitssystem
(Foto: Munich Globe Bloggers – Art: Veronika Grenzebach1)

Bei der Kundgebung habe ich den Reden zugehört, war beeindruckt wie die Engagierten versuchten, ihren Beruf und damit unser Gesundheitssystem zu retten.

Jonas Alter

Mit seiner Filmdoku Höchstens vier Wochen begleitet Regisseur Jonas Alter den ausdauerndsten Streik im kranken deutschen Gesundheitssystem, das wir besser als prosperierendes Krankheitssystem bezeichnen. Es geht um Profitmaximierung der Kliniken durch teure Operationen, während gleichzeitig Arbeitskräfte eingespart werden, das verbliebene Personal ausgeblutet wird und Patienten auf der Strecke bleiben. Willkommen im Neoliberalismus!

Die Munich Globe Bloggers haben den Film gesehen und besprochen2. Wir waren fasziniert vom Mut und der Solidarität der Streikenden wie vom Engagement des Regisseurs Jonas Alter3, der bis dato vor allem Youtube-Videos zu ökologischen Themen gemacht hatte.

Also haben wir dem jungen Mann ein paar Fragen gestellt und dabei welterfahren dreingeschaut.

Munich Globe Blogggers (MGB): Jonas, Gratulation zu deinem genialen Film. Das waren viele Monate Arbeit, du warst wochenlang mit den Streikenden unterwegs. Was hat das mit dir gemacht?

Jonas Alter (JA): Es war ein ziemlich anstrengendes Projekt, weil ich den Dreh und den Großteil des Schnitts komplett alleine gemacht habe. Da blieb nur wenig Zeit für meine Freunde und keine Zeit für Hobbys oder Freizeitbeschäftigungen. Es war, als wäre ich in einer Höhle verschwunden. Beim Filmen war ich mir meiner Sache immer relativ sicher, das war quasi der einfachere Teil. Nach dem ersten Monat war klar, dass sich der Streik noch länger ziehen würde. Aber ich hatte schon so viel Arbeit in das Ganze gesteckt und wollte nicht, dass alles umsonst war. Weil ich eben immer neue Themen entdeckt habe, immer irgendwas los war und ich immer mehr Dinge fand, die für den Film potenziell interessant sind, wurde es nie wirklich langweilig und ich habe jeden Tag aufs Neue die Motivation gefunden, zum Streikposten oder zu einer der Veranstaltungen zu fahren.

Hat einen guten Blick für die Abgründe unserer Gesellschaft: Film-Regisseur Jonas Alter
(Foto: Jonas Alter/privat)

MGB: Der Streik zog sich über 77 Tage. Du hast ihn bis zum Ende begleitet. Da entstand eine Menge Material zum Aufarbeiten. Hattest du Angst, da nie wieder rauszukommen?

JA: Das wirklich schwierige war der Schnitt, also aus den Tausenden von Gigabytes an Filmmaterial eine zusammenhängende Geschichte zu bauen. Jeden Tag aufs Neue aus dem Bett kommen, mich an den Laptop setzen und nachdenken, wie aus den Stunden gesammelten Materials irgendwie ein Film wird. Besonders, weil ich mit längeren Filmen noch absolut keine Erfahrung hatte. Ich habe nicht daran gedacht abzubrechen, aber es gab Momente der kompletten Verzweiflung. Da ist mir aufgefallen, wie viel ich noch zu lernen habe und wie wenig ich eigentlich weiß. Doch mit viel Arbeit und ein paar Tipps von Hubertus Koch, der professionell Dokumentarfilme macht, ist am Ende etwas ganz Gutes rausgekommen.

Erleichterung? Nicht wirklich.

MGB: So was von d’accord! Aber wie bist du auf das Thema Pflegenotstand gekommen? Bis dahin hast du vor allem Youtube-Videos gedreht über Leute, die sich gegen die staatliche gepimpte Naturzerstörung engagieren? Die Massenmedien haben den Streik zu keiner Zeit „hochsterilisiert“, um es mit einem Fußballer zu sagen.

JA: Das war eher zufällig. Nach dem Ende eines Praktikums hatte ich plötzlich 30 Stunden mehr Zeit in der Woche. Auf dem Weg zur Uni habe ich eine Nachbarin getroffen. Die wollte gerade zu einer Petitionsübergabe vor der Uniklinik. Ich hatte im Jahr davor die Streiks in Berlin verfolgt, war daher sehr interessiert und hab sie begleitet. Bei der Kundgebung habe ich den Reden zugehört und war beeindruckt, wie diese Leute versuchen, ihren Beruf und damit unser Gesundheitssystem zu retten. Mir wurde klar, wie wichtig und grundlegend die Gesundheitsversorgung ist und dass wir das Thema seit den großen Corona-Wellen ignorieren. Da habe ich mich entschieden, falls es zum Streik kommt, auf jeden Fall ein Video zu filmen.

MGB: Gegen Ende des Films blickt einer der Hauptfiguren, Pfleger Dominik, leicht wehmütig auf die zweieinhalb gemeinsam durchkämpften Monate zurück: „Man freut sich auf eine Art, dass es vorbei ist, aber irgendwie hat man auch viele Leute hier lieb gewonnen. Wir sind ja eine richtige Gemeinschaft geworden.“ Hast du das ähnlich empfunden als teilnehmender Beobachtender, außen und zugleich mittendrin stehend?

JA: Auch mir war klar, dass ich den Streik vermissen würde. Diese dauerhaft spannende Situation, die interessanten Gespräche, die netten Leute. Da für mich nach dem Streik die Arbeit erst richtig angefangen hat, konnte ich dieses Gefühl der Erleichterung nicht wirklich teilen.

Erst die Kliniken ruinieren, dann die Schuld auf andere schieben – gaaaanz großes Sozialkino unseres neoliberalen Politikergesindels
(Filmplakat: Drop-Out Cinema eG)

MGB: Wie kam dein Film an?

JA: Das Feedback war bis jetzt sehr positiv. Negative Reaktionen kamen von Menschen, die sich ausgelassen gefühlt haben. In einem Dokumentarfilm muss du eine Auswahl treffen, eine Geschichte erzählen, die Menschen mitreißt, damit die Zuschauer dem Film folgen, nicht überfordert sind und sich nicht langweilen. Zudem kann ich bestimmte Situationen gar nicht begleiten ohne Drehgenehmigung. Und als unabhängiger Dokumentarfilmer bekomme ich sie leider nicht. Das heißt, im Film fehlen z. B. der Stationsalltag während des Streiks und die Rolle der Azubis im Streik. Manche waren deswegen enttäuscht.

Mir war es wichtig

MGB: Was motiviert dich zu diesem quasi unbezahlten / auf Spenden angewiesene Engagement?

JA: Mir war es einfach wichtig. Seit der Einführung der Fallpauschalen4 geht unser Gesundheitssystem den Bach runter. Ein Problem, von dem wir alle früher oder später etwas merken werden, wenn wir selbst oder unsere Liebsten im Krankenhaus landen. Und als mir dann bei meinen ersten Aufnahmen für ein paar Youtube-Videos aufgefallen ist, wie wenig mediales Interesse besteht, entschied ich mich dazu, einen Film über den kompletten Verlauf des Streiks zu machen. Finanziell gelohnt hat es sich definitiv nicht. Von den Lizenzen für Filmaufführungen, Spenden und Kinoeintritten kann ich meine Materialkosten decken und habe eine kleine Aufwandsentschädigung. Bei einem FSJ5 hätte ich für diesen Arbeitsaufwand mehr bekommen. Glücklicherweise muss ich aber noch nicht wirklich Geld verdienen.

MGB: Du erholst dich gerade in Chile. Funktioniert das mit dem Runterkommen? Oder steckst du schon im nächsten Projekt?

JA: Erst mal habe ich mich etwas entspannt und Distanz zu allem gewonnen. Bald fange ich aber einen Job bei einem chilenischen Onlinemagazin an und hatte auch schon meine ersten Drehs mit lokalen Umweltaktivisten.

Wer Jonas Alters Filmdoku Höchstens vier Wochen unterstützen möchte: https://www.paypal.com/paypalme/HoechstensVierWochen

Fußpflegenoten

  1. Das Foto von Veronika Grenzebachs Wandbild über die wenig erbauliche Situation der Frauen im Gesundheitssystem entstammt einer Ausstellung im Münchner Kunstlabor 2 (ehemaliges Gesundheitsamt), 2022 ↩︎
  2. vgl. Ein Film wie ein Skalpell im Online-Magazin Rubikon, 1. Februar 2023 ↩︎
  3. Youtube-Videos von Jonas Alter: Bewegungsgärtner ↩︎
  4. Zusammen mit dem 1992 verabschiedeten Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) ist die Einführung der Fallpauschalen (auch: DRG für Diagnose Related Groups) im deutschen Gesundheitssystem mitverantwortlich für die Degenerierung von Kliniken zu Profitcentern, denen das Wohl der Pflegekräfte ebenso am Arsch vorbeigeht wie das Wohl der Patienten. Die Studie PFLEGENOTSTAND AUF INTENSIVSTATIONEN – Berechnungen zum Ausmaß der Unterbesetzung in deutschen Krankenhäusern (Juli 2022) von Michael Simon im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung dokumentiert u. a. dass zwischen 1997 und 2000 bundesweit ca. 14.000 Vollzeitstellen im Pflegedienst liquidiert wurden. ↩︎
  5. FSJ: Freiwilliges Soziales Jahr ↩︎

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