Chat mit Schmackofatz-Aktivist Tobias Felger (2)
Mein großes Privileg besteht darin, ab und an großartigen Menschen zu begegnen, die mitunter mehr „Rock ’n‘ Roll“ sind als ich in meiner kleinen Bubble – das ist mitunter ganz gut für mein Karma.
Tobias Felger, Kitchenista und Mastermind von TOBI OR NOT TO BE, Dessau
(Hier geht’s zu Folge 1 des Chat mit Tobias Felger: Every Beat of my Herd)
Wir bedanken uns bei der Flasche Rotwein, die unseren Lieblingsküchenmagier Tobias Felger (ToBi or not ToBe) dazu animierte, unseren fastfoodfaden Hänsel-und-Gretchen-Fragen-Hagel zu parieren. Mit neo-dudeischer Geduld und post-hamletesker Entschlossenheit.
Im zweiten Teil unseres Chats wühlen wir schamabstinent wie Luther auf MDMA in TFs Vergangenheit und Zukunft. Kein Braten bleibt ungerochen. Kein Fettnäpfchen unbetreten. Kein Keks unbestiegen. Philipmarlower, Samspader und Sherlockfuckingholmser geht’s nicht.
Get your part of the tart flambée, folks!
MGB: In einem Interview sagst du, du warst der beste Messdiener von Halle. Die Katholische Kirche ist nicht bekannt als Gaumenfreudenhaus. Wie hat das deine Kochkunst inspiriert? Hast du mit Hostien experimentiert? Vielleicht mit Popcorn-Geschmack oder das Zeug mit Blutorangenmarmelade serviert? Den Messwein mit Diesel gepimpt oder mit Whisky geflavourt?
TF: Das war ich in der Tat lange Zeit und fairerweise sollte man anmerken, dass die katholische Kirche seinerzeit zumindest noch genießen konnte (Frankreich) und wusste, wie man feiert. Bevor Martin Luther die kleine zarte Pflanze der vorgeblichen Dekadenz (oder Freude am Essen) ausriss und die mitteldeutsche Gastronomie 500 Jahre auf Tauchfahrt schickte. Ok gut, es war nicht Martin allein. Hostien sind in der Tat sehr inspirierend, jedoch wirken sie nur ohne Kreativität und adressieren [sprechen] das Hirn ausschließlich durch ihr Papphaftes mit wohlwollender Fantasie an Popcorn erinnernd – halt ohne Mais aber ein Jahrzehnt länger haltbar [an]. Des Weiteren wird den Gerüchten nach mittlerweile Traubensaft statt Messwein ausgeschenkt. Die Welt hat sich verändert.
MGB: Küche und Kirche. Das klingt nach Mission. Bist du ein Missionar des guten Geschmacks oder zumindest tom-cruise-mäßig auf einer Geschmacksmission: impossible, um die Leute von ihren Bad-Food-Habits zu heilen?
TF: Gibt es noch Missionare? Ich glaube, das funktioniert genauso erfolgreich wie Lehrer, die der siebten Klasse Theater schmackhaft machen wollen – mit der Folge, dass der Großteil der jungen Leute erst ab 60 zitternd wieder ein Theater betritt. Missionieren hat damals mal geklappt, als „die Leute“ alle dumm und arm waren. Das sind sie im „Westen“ nicht mehr seit 70 Jahren – im „Osten“ seit 30 Jahren. Daher gibt es auch „die Leute“ nicht mehr, unsere Gesellschaft ist doch arg bunt geworden, daher kein Problem mit „Leuten“, die mich dissen – und Danke an die Leute, die uns folgen.
MGB: Jetzt mal eine Portion geklautes Wissen: In kapitalistischen Gesellschaften benutzen die Leute Konsum – einschließlich Essen – um sich sozial zu positionieren. Quasi Status-Labeling. Wie ist das bei deinen Gästen? Kommen die alle nur wegen des pfanntastischen Futters oder auch, weil sie irgendwelche Hipster-Karma-Credits abgreifen wollen?
TF: Glaube eher so eine Mischung aus Mitleid, Neugier und die verzweifelte Suche nach gutem Geschmack. Ich bin jedem Gast dankbar, der es bei uns aushält. Mein großes Privileg besteht darin, ab und an großartigen Menschen zu begegnen, die mitunter mehr „Rock ’n‘ Roll“ sind als ich in meiner kleinen Bubble – das ist mitunter ganz gut für mein Karma 😉
MGB: Sehr angenehm: Du bist keiner dieser Penetranz-Köche mit Doof-TV-Show und tausend Kochbüchern, auf deren Umschlag sie ihre Frittiervisagen servieren. Meidest du diese Präsenz-Ebene ganz gezielt?
TF: Nein, ich hab halt ganz einfach noch eine Kneipe, die sieben Tage die Woche geöffnet hat und zahlenmäßig schlechter besetzt ist als so manche Dönerbude. Daher ist meine Zeit begrenzter als bei einigen anderen. Dennoch sind viele meiner in Medien arbeitenden Kollegen ausgezeichnete Botschafter des guten Geschmacks für die auf Mainstream zielenden Medien. Zumindest erreichen sie mehr Bewusstsein als „Gourmettempel“ mit Menüpreisen ab 300 Euro. Dennoch wäre mehr Pluralität in der Charakterentwicklung wünschenswert, denn gerade, was uns Köche ausmacht, ist die Pluralität in der Philosophie, im Geschmack, in der Kreativität und vor allem in der Haltung. Ich glaube, daraus folgernd hat Essen tatsächlich mit Kunst zu tun.
MGB: Und wenn du doch ein Buch schreiben würdest, wie hieße das dann? Piratenkochbuch? Guerilla Kitchen? Ich koch dann mal los …?
TF: „Und das war das Ende meiner Karriere“.
MGB: Schon vorbestellt, Dude. Cheers!