Resonanz in einer fliehenden Welt
The Dude abides.2
Jeffrey „Dude“ Lebowski in The Big Lebowski, 1998
Am Anfang war die Bank. Ein umgefallener Baum, ein Stein wie jener Fels unter dem Hintern von Rodins Ganzkörper-Grübler. Am Ende bleibt nicht einmal die Erinnerung an diese alberne biologische Spezies, die sich bemüßigt fühlte, alle anderen Arten und einen großen Teil der eigenen Art zu unterwerfen. Wäre Homo sapiens besser sitzen geblieben! Hätte weiter gegrübelt, den Horizont und die Sterne betrachtet, in Würde unter seinen Mittieren verweilt, anstatt aufzustehen und sich zum Maß aller Dinge aufzuschwingen.
Was soll man auch halten von einem Wesen, das einerseits in der Lage ist, allerhand physikalische Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und für seine Zwecke zu nutzen und gleichzeitig so berauscht von seinen Fähigkeiten, dass es deren Grenzen nicht erkennt und stets Legitimationen findet für das einfältigste und widerwärtigste Handeln bis hin zur Selbstzerstörung.
Einer der übelsten Krankheiten, mit denen sich der Mensch infiziert hat, ist der Wachstumswahn. Als dessen vermeintliche Medizin er sich noch mehr Wachstum verschreibt. Doch Wachstum und die damit einhergehende Beschleunigung sämtlicher Lebensaspekte verbessern unser Leben nicht – im Gegenteil, sie verschlechtern es auf allen Ebenen.
Wir verzichten hier auf einen Link zu den Growthaholics Anonymous. Stattdessen installieren wir einen Wegweiser zum Philosophen Byung-Chul Han, der für eine Vita contemplativa wirbt:
Der Zwang zur Tätigkeit, ja die Beschleunigung des Lebens erweist sich als effizientes Herrschaftsmittel. Wenn heute keine Revolution möglich zu sein scheint, dann vielleicht deshalb, weil wir keine Zeit zum Denken haben. Ohne Zeit, ohne tiefes Atemholen setzt sich das Gleiche fort. Der Freigeist stirbt aus: „Weil Zeit zum Denken und Ruhe im Denken fehlt, so erwägt man abweichende Ansichten nicht mehr: man begnügt sich, sie zu hassen. (...)“3
Den Apologeten des Neoliberalismus, die nicht müde werden, auf allen verfügbaren Kanälen eine Wachstumspflicht zu propagieren, symbolisiert durch die unerschütterliche Macht der Banken, halten wir den Rückzug entgegen: Die Menschheit soll sich zurücknehmen, schrumpfen. Weniger Mensch, weniger Konsum, weniger Selbstentfremdung durch sinnfreie Tätigkeit. Wir bringen Hartmut Rosas Konzept der Resonanz4 auf die Bank. Nicht auf die, wo das Geld wächst und allzu oft auch verschwindet, sondern auf die, wo man innehält, während die Gedanken weiterlaufen wie ein spielender Hund. Resonanz mit der Natur, mit anderen Menschen, mit einem Buch, mit sich selbst.
Resonanz, das heißt, ein Verhältnis zu Menschen oder zu Dingen, zur Natur, zur Kunst vielleicht oder sogar zu unserem eigenen Körper und unseren eigenen Gefühlen, ist so was wie eine Antwortbeziehung, wo wir das Gefühl haben, wir sind wirklich verbunden mit der anderen Seite. Die geht uns was an, und wir können die auch erreichen. Und eine Besonderheit von Resonanzbeziehungen ist, dass sie immer ein Moment der Unverfügbarkeit haben, das heißt, man kann die nicht einfach instrumentell herstellen, also sagen, ich mache jetzt die und die drei Kniffe oder nehme die und die Pillen, und dann wird mein Leben resonant, sondern da ist immer auch etwas, was sich entzieht und was sich vor allen Dingen gegen Optimierung sperrt.5
Rosas Resonanz-Konzept erinnert uns an das Flow-Gefühl6, das der Psychologe und Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi untersucht hat: ein vollkommenes Aufgehen in einer Tätigkeit, mitunter begleitet von rauschartigen Glücksgefühlen, von „blitzartigen Augenblicken intensiven Lebens“.7 Quasi das Gegenteil jener geistigen Abwesenheit der kopfhörerbewehrten Smartphone-Zombies, wenn sie wie ferngesteuert durch die Straßen laufen, den Blick stur auf den Bildschirm gerichtet, offenbar im Glauben, ihr Leben zu „optimieren“, während sie ihre abgestumpften Hirne mit redundantem und manipulativen Digitalschrott vollstopfen und ihre Umwelt bestenfalls als zu filterndes Hintergrundrauschen wahrnehmen. Die Voraussetzung für Resonanz ist, sich zu öffnen, die Bereitschaft, Unerwartetem zu begegnen, ein „hörendes Herz“8, wie Hartmut Rosa sagt. Wer nicht bereits ist, sich auf andere einzulassen, ihnen zuzuhören, eine Verbindung mit anderen herzustellen, nimmt sich selbst die Chance, „neu anzufangen, Neues hervorzubringen“9.
Im Gegensatz zu Banken sind Bänke hierfür ein guter Ausgangspunkt. Da würde uns der Dude sicher zustimmen. Verweilen ist schließlich seine Kernkompetenz. „The Dude abides“, sagt er am Ende des Films10. Und der Cowboy-Stranger kommentiert: „I don’t know about you but I take comfort in that.“ Wir schließen uns an. Verweilen ist für uns gleichermaßen Voraussetzung für und Folge von Resonanz.
Have a seat!
Banknoten
- Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion, 2022. Rosa verwendet das Wort „aufhören“ in diesem Kontext nicht im Sinne von „beenden“, sondern als „aufwärts hören“, „nach außen lauschen“, sich „anrufen und erreichen lassen von etwas anderem, von einer anderen Stimme, die etwas anderes sagt als das, was auf meiner To-do-Liste steht und was sowieso erwartbar ist und sozusagen im funktionalen Austausch besteht“. ↩︎
- Abide lässt sich übersetzen mit „verweilen“, „bleiben“, „überdauern“, „fortbestehen“. ↩︎
- Byung-Chul Han: Vita contemplativa oder von der Untätigkeit, 2022. Das Zitat im Zitat stammt von Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, 1878. ↩︎
- Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2018. ↩︎
- Hartmut Rosa im Gespräch mit Deutschlandfunk, 2016. ↩︎
- Mihály Csíkszentmihályi: Flow. Das Geheimnis des Glücks, 1992 (O: 1990) ↩︎
- Mihály Csíkszentmihályi: Das Leben ist kurz. Mach was draus! in Psychologie heute, Februar 1999. ↩︎
- Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion, 2022. ↩︎
- Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion, 2022. ↩︎
- Joel & Ethan Coen: The Big Lebowski, 1998. ↩︎