Wo die Liebe hinfällt

Filmnotizen (1): King Kong

Macht sich hier ein Affe zum Menschen? Das kann nur böse enden. Menschen sind die traurige Endstation der Evolution: ein monströser Griff ins Klo des Universums.
(Artwork: Munich Globe Bloggers)
Scarlett Carson

Architecture and Morality

New York im gleißenden Licht der aufgehenden Sonne. Vom Dach des Empire State Building fällt der Blick auf eine Landschaft aus Häusern und Wolkenkratzern, endlos und bizarr wie das Monument Valley. Und ebenso erhaben. Fast wie ein Gegenentwurf zu der Stadt in The Great Gatsby:

I began to like New York, the racy adventurous feel of it at night and the satisfaction that the constant flicker of men and women and machines give to the restless eye.

Auch die dunkle, verregnete und nur durch Leuchtreklamen erhellte Zukunftsvision von Los Angeles in Ridley Scotts Blade Runner verwandelt sich einige Augenblicke lang in den romantischen Entwurf einer Landschaft aus Glas und Metall, überzogen von einem rotgoldenen Glanz millionenfach reflektierter Sonnenstrahlen. Zwischen den Häuserschluchten und Wolkenkratzern schweben Raumschiffe wie Vögel in einem IMAX Naturfilm. Blade Runner stellt die Frage nach dem Wesen des Menschseins.
King Kong stellt die Frage nach dem Wesen der Liebe.

Ganz oben auf dem Empire State Building schrumpft der Riesenaffe auf menschliche Größe. In Peter Jacksons Remake des Originals von 1933 hat er so gar nichts Bedrohliches mehr. Eingeschüchtert und zerbrechlich, hier oben in seinem letzten Zufluchtsort, wissend, dass es kein Entkommen gibt vor der Bestie Mensch, der schlimmsten, nein, der einzigen, die Mütterchen Natur hervorgebracht hat. Diese Bestie hat die Moral erfunden und verstößt als einziges Wesen fortwährend dagegen.

Wild at Heart

Diesen großen Schritt in der Vermenschlichung King Kongs verdanken wir gewaltigen Fortschritten bei der Animationstechnik. Ausgerechnet das Unnatürliche macht die Natur natürlicher. Zumindest im Rahmen der Imagination. King Kongs Körperbewegungen sind nahezu realistisch geworden. Hinzu kommt ein Detailreichtum, der bislang Bio-Darstellern vorbehalten war: Gestik und Mimik. Der Computer-King-Kong überholt seinen Stop-Motion-Vorfahren in den Monster-Kategorien Bedrohlichkeit und Spookyness, weil er nicht mehr durch den Urwald ruckelt wie ein überdimensionierter Duracell-Hase.

Gleichzeitig macht ihn seine flexible Mimik geradezu hypernatürlich, also menschlich. Stellenweise gleicht Jacksons King Kong einem über beide Ohren verliebten Helden, der für seine Liebe zum Äußersten geht. Dabei besagt die Formel „sich zum Affen machen“ genau das Gegenteil: Ein Mensch, der sich benimmt wie ein Affe (oder zumindest wie Menschen in ihrer Überheblichkeit annehmen, dass ein Affe sich benehmen würde). Dieser King Kong aber benimmt sich wie ein Mensch. Die Kinogeschichte ist voll von solch romantischen Trotteln. Nicolas Cage in Wild at Heart. Dustin Hoffman in The Graduate. Billy Cristal in When Harry Met Sally. Jacksons Digital-King-Kong macht sich also zum Menschen. Dieser Riesenaffe fuchtelt nicht mehr mit seiner Braut Ann Darrow herum wie mit einer frisch gepflückten Banane. In einer Szene auf dem Dach des Empire State Buildings sieht er sie an, als wolle er jeden Moment sagen: „Kiss me. Kiss me as if it were the last time.“

Im Wilden Westen, dem Reich der schweigsamen Helden, würde es wohl niemand verwundern, wenn die Hauptfigur bis zum Ende gebraucht hätte, die richtigen oder vielmehr überhaupt Worte zu finden. So gesehen passt King Kong ganz nach Manhattan alias New Skull Island.

Cary Grant ante Propellers

Beim Casting der Hauptdarstellerin für den Original-Film von 1933 bewarb die Produktionsgesellschaft RKO Radio Pictures ihre männliche Hauptrolle mit dem Slogan: „The tallest, darkest leading man in Hollywood“. Hauptdarstellerin Fay Wran glaubte, Ihr Partner könne kein anderer sein als Cary Grant. In Wirklichkeit war ihr Filmpartner dann über zehn Meter groß. Und noch viel, viel dunkler als Cary Grant. Auf dem Dach des höchsten Gebäudes der Welt allerdings schrumpft der Unterschied zwischen einem verliebten Riesengorilla und Cary Grant. Zumal die Liebeserklärungen amerikanischer Helden eben manchmal zu deutlich archaischen Performances geraten. Auch Cary Grant steht in einem seiner Filme1 auf dem Dach des World Trade Centers, wartet dort allerdings vergeblich auf seine Geliebte. Noch etwas teilen King Kong und Grant: die männlich herbe Erfahrung, von einem Propellerflugzeug den Nacken massiert zu bekommen.2

What’s love got to do with this?

King Kongs Vermenschlichung rückt nun wieder Fragen in den Mittelpunkt, die im Original von 1933 und im Remake 19763 untergingen. Zu sehr war die Kamera damit beschäftigt, den Amokläufer in Szene zu setzen. Was ist Liebe? Was macht sie mit uns? Aus uns?

Die Drehbuchtreue erlöst auch Peter Jackson von intimeren Einblicken in die Beziehung zwischen King Kong und der Menschenfrau. Im Sinne von Blade Runner wäre die Antwort: Liebe die doppelt so hell brennt, brennt eben nur halb so lang. Und King Kongs Liebe hat kurze Zeit unglaublich hell gebrannt. Am Ende fällt er zu Boden wie eine erloschene Leuchtrakete. „It was beauty killed the beast“ sagt Denham, der King Kong nach New York brachte, zu einem Cop. Schönheit ist aber nicht gleich Liebe. Eher eine – keinesfalls zwingende – Voraussetzung. Vielleicht scheuten die Dramaturgen einfach nur die Konsequenzen dieser unkonventionellen Liebe. Gesellschaften haben bekanntlich ihre Hürden für Normabweichungen. Romeo und Julia lassen grüßen. Ein Komödien-Regisseur wie Blake Edwards4 hätte Ann Darrow – mit einem kurzen Schwenk auf King Kongs untere Körperpartien – wahrscheinlich noch einen Satz in den Mund gelegt á la: „I hope he’ll stay platonic.“ Noch weiter ins Detail zu gehen hätte Uncle Sam womöglich in den Abgrund gestürzt wie 68 Jahre später das World Trade Center.

Pfotennoten

  1. An Affair to Remember (1957; dt.: Die Große Liebe meines Lebens) von Leo McCarey mit Cary Grant und Deborah Kerr. ↩︎
  2. In dieser berühmten Filmszene aus dem Hitchcock-Film North by Northwest (1959; dt.: Der unsichtbare Dritte) wird der zu Fuß fliehende Roger Thornhill (Cary Grant) von einem Doppeldecker-Flugzeug verfolgt ↩︎
  3. Im 1976er-Remake von John Guillermin mit Jeff „The Dude“ Bridges und Jessica „Tootsie“ Lange klettert King Kong nicht mehr auf das Empire State Building, sondern auf das 1973 fertiggestellte und 36 Meter höhere World Trade Center. Laut Forscher Jack Prescott (Jeff Bridges) erinnern die Zwillingstürme King Kong an eine Felsformation auf seiner Heimat-Insel Skull Island. Dieses unterbewertete Remake ist übrigens gesellschaftskritischer als das Original: Themen wie Ausbeutung und Naturzerstörung finden ihren Platz in den Dialogen. Zudem gibt es allerhand spleenige Referenzen, z. B. erzählt Hauptfigur Dwan (das 76er-Pendant zu Ann Darrow), ihre Weigerung, mit ihren Freunden auf der Yacht den 72er-Pornofilm Deep Throat anzusehen, habe verhindert, dass sie wie die anderen durch eine Explosion getötet wurde: „Did you ever meet anyone before whose life was saved by Deep Throat?“ ↩︎
  4. Regisseur u. a. von The Pink Panther, Breakfast at Tiffany’s und The Great Race. ↩︎

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