Travels without a Cause (3)

Rundum-Diary aus Kuba

Strange times, strange places, strange encounters.
Ein Fall für Jimmy Walker Jr.
(Foto: Munich Globe Bloggers – Thx to Plaza Mayor, Trinidad, Kuba)

Che Che Che

Er ist Kubas Elvis. Nein, kein King of Mambo. Kein Rey de la Nueva Trova. Rein ikonisch. Präsenzmäßig. Das Logo der Revolution. Che hat die absolute Mauerhoheit. Seine Aura war ein Tourismus-Booster wie die ollen Yankee-Schlitten. Quasi zweibeiniger Che-vy-Oldtimer. Leider haben die Kubaner im sprühfähigen Alter keine drahtlose Verbindung mehr zum Kult-Revolutionär1 und seinem Projekt – zu sehr sind sie damit beschäftigt, auszuwandern, einen der lukrativen Jobs im Tourismus zu ergattern oder auf ihre Handys zu starren wie all die anderen Idioten überall. Ein junger Taxi-Fahrer erzählt, er habe Jura studiert, doch von seinem Anwaltsgehalt könne er nicht leben – als Chauffeur verdiene er ein Vielfaches. Ein ehemaliger Staatsangestellter hat eine Pension eröffnet. Sichert ihm das tägliche Überleben und begehrte Mitbringsel der Gäste. Vor allem Medikamente. Was man selbst nicht braucht, geht auf den Schwarzmarkt. Zu olympischen Preisen. Bei Che tippe ich auf dieses Szenario: Als unsterblicher Revolutionsgott geistert der ‘67 ermordete Comandante höchstpersönlich nachts mit Pinsel und Farbeimern durch die Straßen Havannas, Santiagos, Cienfuegos, Camagüeys, Holguíns und Santa Claras und belebt seine verblassenden Porträts, zunehmend ohne Zigarre, denn das Rauchen macht ihm zu schaffen auf die spätjugendlichen Tage – und so richtig en vogue ist das Qualmen nicht einmal mehr auf der Tabakinsel.

Innenansichten einer Legende: Der Chevrolet ist benannt nach Kubas argentinischem Import-Revolutionär Ernesto Che Guevara – nur in Ausnahmefällen zu verwechseln mit Diego Mano de Dios Maradona
(Foto: Munich Globe Bloggers)

Yep, absolut oldschool, einen Kuba-Post an Che aufzurollen. Nur: Ohne eine Prise Romantik unter der Mütze wäre Kuba sowieso keine gute Wahl. Der weiter oben erwähnte Taxifahrer hält die europäischen Regierungen für tontos. Nützliche Volltrottel im Dienste der Yankees. High Five! Manchmal muss man weit reisen, um einen Hirn-User zu treffen.2 8.360 Luftlinienkilometer südwestlich von Berlin sitze ich übrigens zum ersten Mal in einem Lada. Diese Kisten erleben hier ihren zweiten Frühling als Oldtimer. Quasi Holz- oder Pappklassenvariante der elviskaribischen Yankee-Kutschen aus den protzi 50s.

Pintalo de Che! Ein Superhit der kubanischen Rockband Las Piedras Rodantes. Das Single-Cover gefiel dem Comandante so gut, dass er es nachts heimlich an Häuserwände und Mauern malte. Mindestens so oft wie Monty Brian den Spruch „¡Yankees, váyanse a casa!“
(Foto: Munich Globe Bloggers)

Yes we pelican

Nach einem Chill-Quickie in Playa Larga tuckern wir nach Cienfuegos, einer äußerst seltsamen und auffällig leeren Stadt. Auch hier trägt das Stadtbild die Signatur der Zucker- und Tabak-Bonzen. Reichlich Schnörkelfassaden – we call it Zuckerbäckerbaronstil – und ein penetrant rechtwinkliges Straßennetz. Gut zur Orientierung, zugleich ermüdend, zumal Kuba auch im November ganz schön heiß sein kann. Speziell unsere Calle 37 alias Malecón alias Paseo del Prado (kleines Havanna-Déjà-Vu) ist die ultimative gerade Endlosstraße. Richtung Mirador la Punte posieren einige Riesengrundstücke mit palastigen Buden. Heute haben sich dort Hotels und Ferienclubs einquartiert, dienen also weiterhin einer privilegierten Schicht. In unserer deutlich bescheideneren Hütte fegt ein Tornado aus Herzlichkeit über uns hinweg: Anita, unsere Pensionswirtin. Mir scheint, sie hat uns mal eben adoptiert.

Kubanische Multifunktionskabine in Playa Larga: Trockenhaube, Transporter (Solarbeamen!), Telestimmübertragungsgerät, stationärer Hagel- und Kokosnussschutzhelm, Kaffee- und Hypnosemaschine (10 CUP/Min.)
(Foto: Munich Globe Bloggers)

Cayo Santa María ist Teil des Archipels Jardines del Rey auf der Nordseite Kubas, Blickrichtung Bahamas. Von Che ist hier nichts zu sehen. Wir sitzen zwischen Mangroven, die Füße im Sand vergraben und beobachten Pelikane. Lustig, wie sie nach einem kurzen Segelflug herabstürzen, um einen Fisch zu schnappen und dann irgendwie verlegen dreinsehen, wenn das Projekt ein Dive ins Klo war. Freien Tieren bei ihrem Alltag zuzusehen beglückt mich. Ob zu Hause den Meisen, Hummeln und Eichhörnchen oder hier auf Kuba den Pelikanen, Flamingos und Kolibris. Wie wenig es manchmal braucht, um zufrieden zu sein! Und schon gar keinen Kapitalismus. Nur intellektuelle Fadnockerl und Kretins halten den Kapitalismus für alternativlos. Man muss dieses Dummsystem heute anders combatteln. Die Mittel der Oldschool-Revolutionäre funktionieren nicht mehr. Vielleicht wirklich durch Verweigerung. Ein Homerun wird es nicht. Der Kapitalismus in Form des Neoliberalismus ist ein aggressiven Virus – we call it Thatcherkron –, das jede gesellschaftliche Dimension infiziert hat.3

Rust in Peace4

Trinidad ist vollgestopft mit edelhölzernsten Kolonialmöbeln. Café, Galerie, Privatwohnung – wie wir im Vorbeigehen immer wieder bemerken – alles hier ist Museum. Schön zu sehen: Statt dreister Kolonialherrenmenschen schaukeln heute Leute wie du und ich in den schönen Stühlen. Nur kann man Möbel nicht essen. Egal wie kostbar sie sind. Kunst auf Kuba ist deshalb immer auch Survival-Strategie. Überlebenskunst. Wir treffen Edras Francis5 in der Galerie Gato Negro. Der vollbärtige Künstler imitiert Korrosion. Er hat sie ausgiebig studiert. Quasi Selfmadekorrosionologe. Seine Bilder sehen aus wie verrostete oder rostige Metalltafeln – alles mit Farbe gemacht. Die Effekte ziehen selbst einem alten Cowboy die Stiefel aus. Und ein sympatischer tío ist Edras obendrein. Wir plaudern eine ganze Weile. Dabei ist das kubanische Spanisch bisweilen ein harter Ritt für die alten Gringo-Antennen.

Fake-Rost de luxe: El Ultimo von Edras Francis
(Foto: Munich Globe Bloggers)

Die Klassenunterschiede auf Kuba sprangen mir noch nie so in die Glotzies wie in Havanna. Hier Kubaner mit Zugang zu Geldquellen, typisch mit Handys und Label-Klamotten – dort Kubaner mit Nischt. Einige betteln direkt – andere indirekt, indem sie anbieten, dir die Stadt zu zeigen und darauf spekulieren, eingeladen zu werden. In kapitalistischen Ländern sind diese Unterschiede normal und gewollt, fallen also nur noch auf, wenn sich der Kontrast krass verschärft, etwa wenn die Zahl der Wohnungslosen explodiert wie beispielsweise in Berlin oder vor einigen Jahren in Dublin. Wir sind befreundet mit einer kubanischen Ärztin, die nicht als Ärztin arbeitet, weil das staatliche Gehalt nicht zum Leben reicht und weil es deprimierend ist, keine Medikamente für die Patienten zu haben. Auch ihr Freund ist Arzt und arbeitet nicht als Arzt. Inzwischen sind sie nach Chile emigriert. Wieder zwei motivierte junge Menschen weg. Am Ende bleiben nur die Alten, die nirgendwo mehr eine Zukunft haben. Wer kümmert sich um sie? Die kubanische Regierung? Die faschistischen Embargo-Yankees? Der Geist Che Guevaras?6

Quo vadis, Che-Island? Oldtimer sind nicht die einzigen Geschäftsideen auf Kubas Straßen – und die Jugend nicht so anders wie anderswo. Ob das reicht?
(Foto: Munich Globe Bloggers)

Zuckerrohrpost

  1. Che tiktokt nicht, vitaposiert nicht auf LinkedIn und sein Instagram-Account ist ähnlich verwaist wie Joe Bidens Gehirn. ↩︎
  2. Noch was zu den fucking Yankees: Ausgerechnet die USA, der größte Terroristenverein der Welt, pflegt eine Liste mit sogenannten „States of Sponsors of Terrorism (SSOT)“, auf der auch Kuba auftaucht. Klar, wer sich nicht für den US-Imperialismus begeistert ist selbstverständlich ein Förderer des Terrorismus – ganz im Gegensatz zur USA, deren gesamte Außenpolitik de facto noch nie etwas anderes war als internationale Wohlfahrtspflege im Dienste der Menschheit. Was? Hat hier jemand Irak gesagt? Vietnam? Serbien? Nicaragua? Chile? Iran? Philippinen? Guatemala? Brasilien? Afghanistan? Sudan? Haiti? Pakistan? Guantanamo? Indonesien? Honduras? Kuba? Was erlaube! ↩︎
  3. Dezenten Optimismus verstreut Mark Fisher (1968-2017) in seinem Buch Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? (2009; dt.: 2013): „Wir müssen die lange, dunkle Nacht am Ende der Geschichte als große Chance begreifen. Die unterdrückerische Verbreitung des kapitalistischen Realismus bedeutet, dass sogar der kleinste Funke alternativer politischer oder ökonomischer Möglichkeiten eine überproportional starke Wirkung haben kann. Das kleinste Ereignis kann ein Loch in den grauen Vorhang limitierter Handlungsmöglichkeiten reißen, die bisher den Möglichkeitshorizont des kapitalistischen Realismus markieren. Aus einer Situation, in der nichts passieren kann, ist eine geworden, in der wieder alles möglich ist.“ ↩︎
  4. Rust in Peace: Diese Zwischenüberschrift verdanken wir dem gleichnamigen Album der Band
    Megadeth von 1990, das wir vielleicht hier in einem anderen Post vorstellen. ↩︎
  5. Edras FrancisPromotion-Video auf Youtube (span. mit engl. Untertiteln) und einige seiner Bilder auf Cubanoacanadian Art. ↩︎
  6. Eine selbstständige Cafeteria-Verkäuferin brachte es auf den Punkt: „Die USA blockieren unser Land, und unsere Regierung blockiert uns.“ (in: Perspektiven im Sozialismus. Drei Interviews, erschienen im Band Salsa einer Revolution. Eine Liebeserklärung an Cuba zum 40. Geburtstag von Sven Creutzmann und Henky Hentschel, 1999, Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins). ↩︎

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